Jetzt galt es, ein letztes Mal alle Kräfte zu bündeln und die letzten Meter zu schaffen. Seine Beine brannten, die Müdigkeit war nicht mehr wegzudenken, und jetzt auch noch das: Der Weg wurde von begeisterten Fans und Zuschauern versperrt, der Schlussakt ähnelte einem Slalomlauf. Dann aber, eins, zwei, drei – hinauf, geschafft! Endlich war Arne Gabius auf dem Siegertreppchen in der Geschwister Scholl Schule angekommen, und er winkte den Zuschauern bei der Siegerehrung mit letzter Kraft entgegen. Die Erschöpfung war natürlich verständlich: Hinter Arne Gabius lagen 21,1 enorm schnelle Kilometer beim Tübinger LBS-Nikolauslauf. Gabius hatte souverän in 1:08:44 Stunden gewonnen.
Doch auch für Gabius, der jüngst bei seinem sensationellen Marathondebüt in Frankfurt auf Rang drei der europäischen Jahresbestenliste und auf Rang vier der ewigen deutschen Bestenliste lief (2:09:32), war die profilierte Strecke eine echte Herausforderung, und der Streckenrekord von Dieter Baumann (1:07:15 Stunden) wohl nie wirklich in Gefahr. „Nach drei Kilometern habe ich bereits gewusst, dass meine Beine sehr müde waren und habe deshalb mein Vorhaben nicht weiter verfolgt“. Wie vielen Hunderten von Nikolausläufern zog es auch ihm am steilen Bettelweg die Kraft aus den Beinen. „Vor allem die zweite Runde war schon wirklich hart“, erzählte Gabius später bei der Pressekonferenz; hier sprach er auch über seine Beweggründe, beim Nikolauslauf überhaupt zu starten. Hintergrund sei sein anstehender Vereinswechsel gewesen, weg von der LAV Stadtwerke Tübingen hin zum LT Haspa Marathon Hamburg. „Der Verein hat leider aus finanziellen Gründen den Vertrag nicht verlängert. Deshalb habe ich mich vor wenigen Tagen dem LT Haspa Marathon Hamburg angeschlossen. Ich habe mir aber gleichzeitig gesagt: Dann muss noch ein Abschiedsgeschenk her. Eigentlich wollte ich beim Nikolauslauf nie starten, weil dieses im Konzept ein Breitsportlauf ist!“
Der Zweitplatzierte Marcus Schöfisch fühlte sich durch Gabius Start aber durchaus inspiriert: dem einstigen Hindernisläufer gelang ein ausgezeichnetes Rennen. Durch sein flottes Tempo ließ der Erfurter den Führenden Arne Gabius im Grunde nie richtig aus den Augen – was ihm Ansporn gab. „Es ist schon cool zu sehen, dass man so nahe an einem Weltklasseathleten dran ist“, freute sich Schöfisch über seinen zweiten Platz, die gleiche Platzierung wie 2013. Dritter wurde der 800- und 1500 m-Läufer Boris Rein, der eigentlich nur einen Trainingslauf absolvieren wollte. „Das war heute mein Sonntagsdauerlauf“, erzählte Rein (LV Pliezhausen) später. „Und dieser hat gut gepasst.“
Eine Überraschung bei den Frauen
Gut gepasst haben dürfte der charmante Winterlauf im Norden Tübingens auch für Anaïs Sabrie (LAV Stadtwerke Tübingen). Sie kam nach 1:22:07 Stunden als erste Frau ins Ziel. Bemerkenswert: Die Medizinstudentin, die erst seit einem Jahr in Tübingen lebt, hatte die Strecke noch nie zuvor gesehen. Sabrie ist vor allem als Berg- und Crossläuferin aktiv, in ihrem Heimatland Frankreich ist die 20-Jährige aber auch Meisterin ihrer Altersklasse über die 10-Kilometer-Strecke auf der Straße.
Insofern war Sabrie durchaus auf dem Favoritenzettel der Experten notiert worden, auch Nikolauslauf-Cheforganisator Gerold Knisel wusste um die Schnelligkeit der Französin. „Dass sie große Läuferqualitäten besitzt und diesen Lauf gewinnen konnte, haben wir erwartet“. „Gänzlich überrascht“ aber wurde Knisel von Hannah Arndt. Die 25-jährige Tübingerin rannte couragiert auf den zweiten Platz, bei ihrem ersten Halbmarathon überhaupt! Mit ihrer Zeit von 1:25,07 Stunden lag sie zwar exakt drei Minuten hinter der Siegerin zurück, war aber im Ziel überglücklich. „Ich hatte eigentlich eine ganz schlechte Saison mit Verletzungen und Erkrankungen“, erzählte sie. Auch die Drittplatzierte Nora Kusterer (SV Oberkollbach) war alles andere als enttäuscht. „Ich bin nach einer Verletzung erst seit Oktober wieder im Lauftraining“, so Kusterer. „Trotzdem hätte ich mit meiner Zeit von 1:25,26 im vergangenen Jahr sogar gewonnen.“
Nächstes Jahr: Jubiläum
Bei kühlen, aber nicht eiskalten Temperaturen und bei optimalen Streckenbedingungen kamen beim 39. Tübinger LBS Nikolauslauf mehr Läuferinnen und Läufer als je zuvor ins Ziel. 2626 Finisher bedeuteten Rekord, was Gerold Knisel natürlich erfreut zur Kenntnis nahm. Viel wichtiger sei allerdings, „dass alle Teilnehmer gesund und glücklich das Ziel erreicht haben und dass organisatorisch alles reibungslos funktioniert hat“, so Knisel. Sogleich richtete er aber den Blick auf das kommende Jahr, wenn der Tübinger Nikolauslauf zum 40. Mal stattfinden wird. „Wir werden uns schon einige schöne Dinge für den Jubiläumslauf einfallen lassen“, prophezeite er. Eins scheint gewiss: Arne Gabius, vom Europäischen Leichtathletikverband jüngst zum Athleten des Monats Oktober gekürt, wird wohl nicht daran teilnehmen: „Vielleicht wieder, wenn ich 40 bin. Denn dann bin ich so alt wie Dieter Baumann damals war, als er 2005 den Rekord lief.“
Pressemitteilung LBS Nikolauslauf Tübingen
Medienecho 2014